Vereinigung der
Orgelsachverständigen
Deutschlands

Temperierung und Stimmung

Ziel der Temperierung ist es, die 12 Halbtöne einer Oktave so zu verteilen, dass musikalisch sinnvolle Tonverbindungen (Akkorde) zwischen ihnen entstehen können. Die verschiedenen gebräuchlichen Temperierungen haben je nach gespielter Musik und Disposition der Orgel alle ihre Berechtigung.

Das älteste bekannte Temperiersystem ist die mitteltönige Temperatur. Sie geht von 8 rein gestimmten großen Terzen aus, welche den gebräuchlichsten Durtonarten eine besondere Wärme und Klarheit verleihen. Ab einer bestimmten Vorzeichenzahl klingen die übrigen Tonarten unsauber, besonders stark heult der Orgelwolf, die Quinte gis-es.

Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert wurden eine große Zahl wohltemperierter Systeme entwickelt. In Deutschland am weitesten verbreitet waren Temperierungen nach Kirnberger, Neidhardt, Silbermann, Sorge und Werckmeister. Entweder wurden die Intervallbeziehungen von Theoretikern mathematisch entwickelt oder sie entstanden aus der Stimmpraxis (irreguläre Systeme). Kennzeichnend für diese ungleich schwebenden Temperierungen ist die Bevorzugung der gebräuchlichen Tonarten durch reinere Terzen oder Quinten als bei entlegenen Tonarten. Die den Temperierungen eigene Tonartencharakteristik verstärkt bei vielen Kompositionen der jeweiligen Zeit die musikalische Wirkung.

Bei der gleich schwebenden Temperatur ist die Oktave in 12 genau gleichgroße Halbtonschritte eingeteilt. Bis auf die Oktaven sind dadurch alle Intervalle leicht verstimmt. Obwohl die gleich schwebende Temperierung bereits im 17. Jahrhundert bekannt war, setzte sie sich im Orgelbau erst im 19. Jahrhundert vollständig durch. Sie wurde entwickelt, um vollchromatisches Spiel in allen Tonarten zu ermöglichen, ohne eine bestimmte Tonart in der Reinheit der Stimmung zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

Die Stimmung einer Orgel ist dann gut, wenn die Temperierung korrekt angelegt wurde und möglichst alle demselben Tastennamen zugeordneten Pfeifen (etwa alle Pfeifen, die auf den C-Tasten gleichzeitig erklingen) schwebungsfrei zueinander gestimmt sind.

Labialpfeifen werden durch Veränderung der Länge der schwingenden Luftsäule gestimmt. Bei offenen Metallpfeifen geschieht dies durch Auf- oder Abrollen der Stimmrollen, oder, bei auf Tonlänge geschnittenen Pfeifen, durch das Einziehen (der Ton wird tiefer) oder Aufweiten (der Ton wird höher) der Pfeifenmündung mit dem Stimmhorn. Offene Holzpfeifen besitzen Stimmschieber oder Stimmbleche, gedeckte Pfeifen verschiebbare Hüte oder Spunde mit Dichtung, zugelötete Pfeifen Stimmbärte.

Dr. Martin Kares