Vereinigung der
Orgelsachverständigen
Deutschlands

Pfeifenwerk

Orgelpfeifen sind meist aus Metall, einer Zinn-Blei-Legierung, hergestellt. Je “strahlender” ein Register klingen soll, desto höher ist der verwendete Zinnanteil (Prospekte bis 90% Zinn), je “dunkler”, umso mehr Blei wird zugegeben. Eine Legierung aus 50% Zinn und 50% Blei nennt man Naturguss. Durch Zulegieren anderer Metalle (Kupfer, Antimon etc.), Hämmern, Walzen oder Ausdünnen des Orgelmetalls können seine Stabilität und Klangeigenschaft verändert werden. In der Orgelromantik begann aus Sparsamkeit, aber auch aus klanglichen Gründen die Verwendung von Zink, die Verwendung von Kupfer reicht von der Antike bis zur Neuzeit. Aus Gewichts-, Kosten- und Klanggründen werden vor allem große Pfeifen oft aus Holz gefertigt.

Das Pfeifenwerk wird in Register unterteilt, die in ihrer Gesamtheit die Disposition einer Orgel darstellen. Die Register unterscheiden sich in ihrer Tonhöhe und in ihrer Klangfarbe voneinander. Die Tonhöhen der Register werden in Fuß (’), einem alten Längenmaß, angegeben. 1 “Fuß” entspricht etwa 30 cm. Register mit der Bezeichnung 8′, die Grundregister, klingen in der so genannten Äquallage; die Tonhöhe einer Pfeife auf z.B. der Taste c1 entspricht der Tonhöhe der Saiten auf Taste c1 beim Klavier.

Das Verständnis für das Klangprinzip der Orgel erschließt sich aus der Obertonreihe: Jeder Ton setzt sich aus vielen Ober- oder Teiltönen zusammen, deren Stärke und Lage die Klangfarbe der Register bestimmen. Charakteristisch für einen Streicher- oder Trompetenklang z.B. sind viele hoch liegende Teiltöne, für einen Flötenklang wenige tief liegende. In der Orgel sind nun diese Obertöne nicht nur als Bestandteil eines Grundtones, sondern auch als eigenständige Pfeifenreihen vorhanden.

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedenen Gattungen von Pfeifen - Lippenpfeifen (Labiale) und Zungenpfeifen (Linguale). Diese unterscheiden sich durch ihren Bau und die Art der Klangerzeugung.

Lippenpfeifen (Labiale) bestehen aus einem Fußteil und dem Pfeifenkörper, welche bis auf einen schmalen Spalt durch den Pfeifenkern voneinander getrennt sind. Durch diese Kernspalte wird wie durch eine Düse der Orgelwind gepresst und trifft auf die darüber liegende Kante des Oberlabiums. Dort entstehen eine große Zahl von Schneidentönen unterschiedlichster Frequenz. Diejenigen Schneidentöne, welche die Luftsäule im Pfeifenkörper zur Resonanz anregen können, sind für das Entstehen des hörbaren Tones verantwortlich, ähnlich wie beim Blasen über eine Flaschenöffnung. Bei kurzen Pfeifen mit hohem Ton schwingt die Luftsäule schnell, bei langen Pfeifen mit tiefem Ton schwingt sie langsam. Beim Aufbau des stationären Klanges entstehen, beeinflusst durch die Artikulation, kurzzeitig unterschiedliche Teiltöne; diese Vorläufertöne bestimmen die Ansprachecharakteristik eines Registers.

Der Körper der längste Pfeifen eines 8′-Registers (auf Ton C) misst etwa 8 Fuß, d.h. 8 x 30cm = 2,40m. Die Pfeife C eines 4′-Registers hat die halbe Länge und klingt eine Oktave höher, die Pfeife C eines 16′-Registers ist doppelt so lang und klingt eine Oktave tiefer. Eine Vertiefung um eine Oktave wird auch erzielt, wenn das offene Pfeifen-Ende mit einem Deckel verschlossen wird. Bei kleinen Orgeln werden daher lange Pfeifen von Grundstimmen gerne gedeckt gebaut.

Durch die beim Bau der Pfeife festgelegten Maße werden die Grundvoraussetzungen für den späteren Pfeifenklang festgelegt. Dabei bestimmt die Länge des Pfeifenkörpers die Tonhöhe, die Klangfarbe wird bestimmt durch Form, Durchmesser und Material der Pfeife und durch die Entfernung des Oberlabiums von der Kernspalte (Aufschnitthöhe). Die Tonstärke wird durch die Labienbreite beeinflusst. In der Klangfarbe offener Pfeifen treten hauptsächlich die geradzahligen Teiltöne (2.,4.,6.,8., usw.) hervor, bei gedeckten Pfeifen die ungeradzahligen (3.,5.,7., usw.). Auch Kernform und -bearbeitung (Kernstiche) spielen eine wichtige Rolle.

Unabhängig von den Pfeifenmaßen wird der endgültige Klang der Pfeife durch den Winddruck und vor allem durch die Intonation bestimmt. Der Intonateur reguliert unter anderem die Menge des Winddurchflusses, die endgültige Aufschnitthöhe, die Stellung des Oberlabiums zur Kernspalte und die Kernhöhe.

Eine Mensur gibt das Verhältnis eines Pfeifenmaßes zu dem entsprechenden Pfeifenmaß der nächsttieferen Oktave an. Die übliche Einteilung der Labiale erfolgt anhand ihrer Weitenmensur. Man unterscheidet dabei zwischen Eng- und Weitchorregistern. Dem Engchor werden dabei die Prinzipale, Klangkronen und relativ eng gebaute Gedackte und Halbgedackte, die sogenannten Prinzipalstellvertreter, zugerechnet. Der Weitchor umfasst die meisten Flöten und weit mensurierte Gedeckte, Halbgedeckte und Aliquote. Pfeifen sehr enger Mensur werden als Streicher oder Solochor bezeichnet. Überblasende Flöten und Gedackte sowie Hochdruckregister stellen weitere Sonderformen dar, die Übergänge zwischen den genannten Pfeifenarten sind fließend. Bei den Halbgedeckten sind die “Deckel” der Pfeifen mit einem Loch, einem Röhrchen oder einem kegelförmigen Aufsatz versehen oder der Pfeifenkörper selbst ist konisch, sodass eine Mischung aus offenem und gedecktem Pfeifenklang entsteht.

In der Orgelromantik verschob sich die “klassische” Einteilung nach der Weitenmensur zugunsten einer Klangfarben- und Lautstärkenunterscheidung. Besonders deutlich wird der Bedeutungswandel bei den Streichern - die barocke Bauweise mit charakteristischer langsamer Ansprache für solistischen Gebrauch weicht einer stark Klang färbenden, für das Zusammenspiel mit Weitchorregistern geeigneten romantischen Bauweise.

Die Register des Engchores, die Prinzipale, bilden das klangliche Rückrat jeder Orgel. In ihrer Summe bilden sie das Plenum. Ihr Klang ist klar und zeichnend.

Die Register des Weitchores haben Begleit-, Füll- und als Aliquote in Verbindung mit anderen Registern Solofunktion. Klanglich ist ihre Verschmelzungsfähigkeit mit anderen Registern oder dem Grundton hervorzuheben.

Die gemischten Stimmen sind bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Kornett) nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit anderen Registern verwendbar. Sie enthalten selbst nur Oberton-Pfeifenreihen. Gemischte Stimmen werden in Mixturen und Aliquotbündelungen unterteilt:

Mixturen sind die Klangkronen der Engchorregister. Als letzte Steigerungsmöglichkeit des Prinzipalplenums haben sie die Aufgabe, die Basslage aufzuhellen und die Diskantlage zu verstärken. Dies erreichen sie durch die Mehrchörigkeit und die Repetition. Unter Mehrchörigkeit versteht man, daß auf jedem Ton einer Mixtur mehrere Pfeifen in Oktav- und Quintlage gleichzeitig klingen. Eine „Mixtur 4fach 1 1/3´” beginnt in der Basslage mit 4 Pfeifenreihen hoher Fußtonlage (z.B. 1 1/3′+ 1′+ 2/3′+ 1/2′). Würden diese Pfeifenreihen bis in den Diskant fortgeführt, klänge die Mixtur dort schrill. Zudem ließen sich derart kleine Pfeifen nicht mehr herstellen, ihre Tonhöhe läge außerhalb der Hörgrenze. Spielt man eine Mixtur chromatisch vom Bass zum Diskant, springen daher auf bestimmten Repetitionspunkten die Tonhöhen der einzelnen Pfeifenreihen auf den jeweils klangtieferen Oktav- oder Quintchor zurück, die 1′-Pfeifenreihe etwa repetiert zum 1 1/3′, später zum 2′ und schließlich zum 2 2/3′. Die Bezeichnung z.B. Mixtur 3-4fach bedeutet, dass die Chorzahl vom Baß zum Diskant hin zunimmt. Hoch- und sehr hoch klingende Mixturen heißen Scharff und Zimbel. Nichtrepetierende, tief liegende Mixturen findet man ausschließlich im Pedalwerk oder in romantischen Orgeln.

Im allgemeinen werden nur die ungeradzahligen Obertöne wie Quinten, Terzen, Septimen und Nonen als Aliquote bezeichnet. Aliquotbündelungen zeichnen sich wie Mixturen durch die Mehrchörigkeit aus, allerdings repetieren sie in der Regel nicht (z.B. Sesquialter, Kornett, Terzsept). Einzelaliquote verstärken den jeweiligen Oberton des zugehörigen Grundtones, die Quinte 2 2/3′ (8/3) z.B. den 8′

Der Ton bei Zungenpfeifen (Linguale) wird durch eine schwingende Metallzunge erzeugt. Es wird zwischen aufschlagenden und durchschlagenden Zungen unterschieden.

Die Zunge, ein leicht gebogener Messingblechstreifen, liegt bei der aufschlagenden Konstruktion wie ein federnder Deckel auf dem Rand der Kehle, einem seitlich und oben offenem Metallröhrchen, auf. Kehle und Zunge werden an ihrem oberen Ende durch die Nuss gehalten, die zum Becher hin durchbohrt ist. Wenn Orgelwind in den Stiefel strömt, ist als einziger “Ausgang” zum Becher hin eine schmale Spalte zwischen Kehlenrand und Zunge vorhanden. Es entsteht folgender Kreislauf: Der entstehende Sog zieht die Zunge an den Kehlenrand, der Sog reißt ab, die Zunge federt zurück, Wind strömt erneut nach, Sog entsteht etc..

Bei der durchschlagenden Konstruktion schwingt eine nicht gebogene, aber elastische Zunge frei durch einen auf der Kehlenöffnung befestigten Metallrahmen, ähnlich wie bei einer Mundharmonika. Auch hier wird die Zunge durch das Wechselspiel von federnder Zunge und Luftsog in Schwingung versetzt.